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Samstag, 11. Mai 2024

Wenn der weiße Flieder wieder blüht,

ja, dann ist Maienzeit. Frühlingsgefühle stellen sich ein, wohl auch bei Franz Doelle dem dieses Lied zu komponieren in den Sinn kam. 


Komischerweise reagiere ich auch darauf, weshalb unser Fliederbaum im elterlichen Garten  an der Eingangstüre sich wieder in meiner Seele zu Wort meldet. 


Er kannte mich, hörte meine Schritte schon wie ich das kleine Fußwegelein zur Gartentüre kam und ich glaube auch dass er sich gefreut hat als ich ihn begrüßte. 


Er kennt mich und ich ihn stand er doch schon seit dem Jahr 1932 dort, da war ich noch gar nicht geboren. Richtig wahrgenommen hat er mich als des Helgele, das in den Jahren 1941/42 ihm jeden Tag einen guten Morgen wünschte, weil ich nämlich zur hölzernen Gartentüre gelaufen kam um im Briefkasten nach Post fürs Helgele zu schauen.


Mama stets an meiner Seite mit dem kleinen Schlüsselchen in der Hand, um damit aufzuschließen. Ich war noch nicht groß genug um an das Schloss zu gelangen. Ungeduldig zappelte ich von einem Bein auf das andere in freudiger Erwartung auf ein Papabrieflein aus dem Krieg. Manchmal war die Enttäuschung groß wenn nichts dabei war, ein anderes Mal dafür die Freude groß, wenn es zwei oder gar drei Briefchen waren. 


Mama hatte mir einen Leitzordner angelegt, mir gezeigt wie der Locher funktioniert und ich fand mich schon ganz groß, als Bürohilfe. Wenn mich dann eine Nachbarin fragte ob ich Post erhalten habe, meinte ich dazu: „Weißt denn du net, mei Papa is doch im Krieg, aber der kummt scho widder.“ 


Dies und noch viel mehr weiß alles der Fliederbaum der in den 10 Jahren mächtig gewachsen ist. Doch irgendwann fing auch ein Fliederbaum an zu begreifen, dass da etwas nicht stimmen konnte. An einem windigen Sommertag war ich mal wieder sehr traurig, kein Bruder da, keine Spielkameraden und mein kleines übervolles Kinderherz wollte unbedingt jemandem sein Leid erzählen. 


Der Krieg war zu Ende, ich wurde 1945 eingeschult. Ohne eine Schultüte zu besitzen ging ich am Fliederbaum vorbei und hinterließ ihm meine Weiße Tafthaarschleife. Ich hatte mir diese so sehr gewünscht für meine dicken Zöpfe, aber Mama sagte mir, das geht nicht mit Dir, sie sind a teuer und b irgendwie auch nicht aufzutreiben, Helgele du bist zu wild für so schönen Haarschmuck, schau nur an dir herunter, das Schuhband offen, das Knie aufgeschlagen, die Strümpfe nicht hochgezogen, einen Klecks vom Mittagessen noch auf dem Kleidchen. Ein Schulkind ohne Papa, keine Schultüte und auch keine Haarschleife, nein das geht nun für eine Mutter rein gar nicht. Nürnberg erholte sich langsam von den Kriegswirren und man sah wieder etwas mehr Licht am Horizont, die Menschen wurden wieder zuversichtlicher und Jeder half auch noch Jedem, so wie er eben konnte. Viele Männer waren vom Krieg nicht mehr zurückgekehrt oder noch in Gefangenschaft, keiner wusste etwas Brauchbares zu berichten. 


Auch der Fliederbaum wusste keinen Rat und viel um ihn herum passierte auch nicht, bis eines Tages ein Mann auftauchte der im Nachbarhaus ein Zimmer gemietet hatte. Was dann so unterm Fliederbaum geratscht und getrascht wurde hatte das Helgele schon mitbekommen und dem Fliederbaum einiges entlocken können, was der denn wusste. Ja, was wusste er, dass es ein überaus netter und gutaussehender Mann im besten Alter war, das war für das Helgele aber nicht so wichtig, sondern er sprach sie immer an, wenn er abends vom Arbeiten kam, steckte ihr eine Leckerei zu und machte Spaß mit ihr. Turnen war seine große Leidenschaft, irgendwie oder wo war er wohl mal in einer Turnerriege.


Auch stand er öfter an der Gartentüre unterm Fliederbaum......immer öfter, er brachte Mama Schinken und andere Esswaren mit. Er war Flüchtling vom Krieg hierher gekommen, fand Arbeit und ganz nebenbei auch noch eine begehrenswerte Witwe mit zwei Kindern. Ich war hin und weg, endlich hatte auch ich einen Papa, die solange neidisch auf andere Kinder war, deren Papa wieder zurückgekommen war. Er war Stettiner aus Pommern, konnte nicht mehr zurückkehren in seine Heimatstadt, die den Russen zugeteilt war. Die russisch besetzten Gebiete waren für die Bevölkerung dort ähnlich wie Krieg. Er hatte nichts mehr gehabt außer was er am Körper trug und die Soldatenerkennungsmarke. Er war ledig und kinderlos, das gefiel dem Fliederbaum sehr, endlich kam nach den Kriegswirren wieder Freude in die Bevölkerung. Es war Sommer 1948, Ludwig Erhard leitete nun die Geschicke Deutschlands.


Ich musste versprechen, dass ich nichts verrate, dass bald eine Vermählung stattfinden würde. Da mein neuer Papa aber keine Geburtsurkunde und oder sonstigen Vorkriegspapiere mehr besaß, wollte der Herr Pfarrer die Trauung nicht vollziehen. Da war ich höchst enttäuscht, denn auch die ev. Erlöserkirche in Nürnberg war gut besucht, meist Nachbarn die einer Hochzeit gerne beiwohnten und Glückwünsche zu vergeben hatten. Die Gemeinde musste lange warten, Gemurmel im Kirchsaal. Schließlich  gelang doch das Wunder, dass das Ja Wort gesprochen werden konnte. Mama war so verärgert, dass sie aus der Kirche austrat. Später aber wieder eintrat nach dem sich die Pfarrei entschuldigt hatte.


Ach mein Fliederbaum, mein stummer Freund der trotzdem alles wusste, er ist schon seit 1964 nicht mehr unter uns. Ich war sehr traurig als er einfach so leblos da am Boden lag. Dort wurde er wie auch der Herr Pfarrer immer sagt, Erde zu Erde. Seine Erde ist da noch und im Mai wenn die Natur neues Leben entstehen lässt, muss ich die Fliederbäume besuchen die in meiner Umgebung stehen, ihren Duft einatmen und traurig an Mama und Papa denken. Er musste weichen, der Aufschwung forderte sein Leben, man wollte vorwärts kommen, die verloren gegangene Kriegszeit wieder aufholen, renovieren und neues anschaffen, ein neues Gartentor errichten und eine Garage bauen. Viele Menschen verloren ihr Leben, da zählt ein Fliederbaum mehr oder weniger nicht. Niemals dürfen diese Jahre in Vergessenheit geraten.


Herzliche Grüße
Euere Helga

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