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Samstag, 27. Januar 2024

Wir haben wieder aufgebaut

Meine Eltern hatten sich einander versprochen und 1928 geheiratet.


Auch da war schon die Wohnungsnot so groß, dass sie sich mit einem Zimmer in der elterlichen Wohnung ohne fließendes Wasser (Waschlavoir) und ohne eine Privatsphäre zu haben, begnügen mussten.

Die Schlafzimmermöbel aus1926 von meinen Eltern stehen aufgearbeitet in der Ferienwohnung meines Sohnes

Man ging seiner geregelten Arbeit nach immer mit dem Ziel einer Familiengründung und einer angemessenen Bleibe dafür.


1931 erblickte dann aber ein unter widrigen Umständen geborener 11 Pfund schwerer Junge das Licht der Welt. Nun war Eile geboten und Papa erstand 1933 ein 400qm großes Grundstück auf einer aufgelassenen Sandgrube. 


Die Stadt Nürnberg genehmigte ein Holznotwohnhaus ohne Keller auf 50 Jahre. Schnell war es hingestellt (Heute steht es traurig und verlassen immer noch dort) 


und das Leben nahm andere Formen an. Die Arbeitslosigkeit griff um sich, Papa als Kaufmann im Kunsthandel verlor seine Arbeit, aber Mama behielt ihren Sekretärinnenposten bei Telefonbau und Normalzeit am Frauentorgraben, heute bekannt als Telekom. Sie war nun diejenige der die Abzahlung des Häuschens vornehmlich oblag.


Später dann als ein gewisser Herr A.H. ins Spiel kam, gab es wieder Arbeit und die gebeutelten Menschen lebten wieder etwas auf. Rüstung hieß aber leider das Zauberwort das so gar keines war, denn Firmen wie Städtler machten keine Griffel und Buntstifte zur Freude der Kinder mehr, sondern eben Rüstung. Autobahnen, Straßen und Brücken waren für das was uns bald bevorstehen sollte wichtiger wie die Bevölkerung.


Meine Eltern hatten anderes im Sinn, der gemeinsame  Sohn Gustav sollte ein Geschwisterchen bekommen. Die Zeiten waren ungünstig und man überlegte hin und her wie dies in ungewissen Zeiten gehen sollte. Man wartete und wartete, verdrängte den Gedanken an Krieg, die Menschen hatten halbwegs wieder Arbeit, Gustav bereits 8 Jahre alt, Mama 34, es war Eile geboten mit dem geplanten Helgele. Papa fuhr ein Motorrad mit Beiwagen, was zu dieser Zeit schon etwas sensationell war.


Damit fuhren meine Eltern dann ins Thüringische Crawinkel zur Sommerfrische, so nannte man Urlaub damals. Der Gedanke dort in fremder Umgebung blitzte wieder auf und das Helgele, das kleine Schwesterchen für Gustav entstand.


Leider war der Zeitpunkt dann doch ungünstig, denn 1939 brach tatsächlich der Krieg aus. Alle Zeichen standen darauf, man hätte es also besser wissen müssen. Aber die Menschen wollten leben, sie haben ja nur das Eine. Bereits 1940 dann die Botschaft dass Papa nach Frankreich zur Verteidigung des Deutschen Reiches eingezogen wurde. Gerne hätte er sein kleines Mädele aufwachsen sehen. 


Mama arbeitete immer noch für Telefonbau und wir Kinder wurden von der Großmutter väterlicherseits betreut. Autos und Handys waren Fremdwörter, nur ein Fahrrad mit Kindersitz fürs Helgele und ein eigenes Fahrrad für Gustav waren vorrätig, um zu Oma zu gelangen.


Bald wurde Papa versetzt, von Frankreich über Bessarabien, Richtung Ukraine auf die Krim. Reger Briefkontakt und viele Bildchen und sogar ein Märchen zeichnete und schrieb Papa seinem Helgele.


(Alles noch in drei Ordnern von Mama aufgehoben) Dass man den Menschen glauben machte das der Krieg gleich vorbei sein würde, erwies sich als Farce.


Bereits 1942 am 8. Mai kam die Todesnachricht aus dem heute als Donbass bekannten Saparoshje (so steht es auf dem Totenschein geschrieben) und dass der Mann der Witwe an der Panzerstraße 8 in Grab 312 begraben liegt. So gab es keinen schnellen Frieden, sondern Tod und Elend, Verletzte, Verstümmelte,  Bein- und Armamputierte und Blinde. Draußen tobte der Krieg. Erst 1945 als das Helgele eingeschult wurde und mit ihrem Quäkerspeisetöpfchen am Haken der Büchertasche, wo der bunte Tafellappen als nachbarschaftliche Gesellschaft hing und auf den Haferbrei aus Milchpulver wartete gegessen zu werden, wurden die Tage etwas erträglicher. Mama tat was damals üblich war, sie klaute für uns, Kartoffeln von einem abgeernteten Feld, Äpfel aus Bauerngärten und ging hamstern.  Briketts organisieren für den Winter, Alteisen sammeln, wobei Kupfer und Messing begehrt waren.


Die Amis hatten Huhn in Dosen, endlich wurde man satt, was Mama dazu anstachelte sechs Hühner zu halten. Eier waren ein wichtiges Lebensmittel. 


Auch Stallhasen für den Sonntagsbraten wurden im Garten gehalten (das Schlachten übernahm die Nachbarin) hätte Mama und mein Bruder Gustav niemals gemacht, aber hungrig war der 15 jährige sehr heftig.


So schlug sich Mama die Kriegerswitwe nach Ende des Krieges durch, bis nach und nach der Wiederaufbau der meist in den Händen der Frauen lag langsam Gestalt annahm. Der Herausforderung, den großen Mühen, dem Mut und dem Zusammenhalt der Frauen und nicht zuletzt  der Freude, die langsam wieder zurückkehrte, ist Deutschland wieder auferstanden.


Nur mühsam kehrte der Alltag der Stunde Null nach Ende des Krieges wieder zurück. Die Menschen lebten  inmitten einer Trümmerlandschaft. Viele hungerten und hatten kein Dach über dem Kopf. Das der Wiederaufbau so schnell voran kam, lag maßgeblich an den Frauen, die auf sich alleine gestellt Mittel und Wege finden mussten sich und ihre Familie zu ernähren. Mama räumte auch Schutt und Trümmer weg und handelte mit Zigaretten mit den Besatzern und organisierte das neu erblühende Leben. Heute erst wird mir klar, was Mama für uns alles geleistet hat. Sie war befallen von einem unglaublichen Aufbauwillen und nur überleben mit ihren  Kindern an der Seite.


Grüße aus meinem Plauderstübchen der Vergangenheit
Euere Helga


Verlinkt mit: *Samstagsplausch*