von Kerstin und Helga
Einleitende Worte zu diesem Märchen vom Helgele, jetzt (alte Helga).
Ja, Märchen, Märchen sind eben Märchen, aber hier ist ein wahres Märchen.
Das beschriebene Häuschen (ohne Keller), dafür mit Sonnenveranda, es gibt es noch. Es steht noch dort wo es 1933 hingestellt wurde und hatte den Krieg überlebt, leider nicht sein Erbauer. Im Zuge des Fortschrittes wurde die Brikettmännlein Feuerung eingestellt und zwei Ölöfen spendeten von nun an Wärme. Die liebe Mutti ist 1994 verstorben und das Brüderlein gar schon 1991. Dies brachte Unruhe in die Erbengemeinschaft und so steht es noch heute dort, einsam, verlassen, verkommen, verwildert und unsäglich traurig. Nun 2014 im 20. Jahr, es ist unfassbar, könnte man passend sagen wie eben alle Märchen enden und wenn es nicht bald einen Liebhaber findet, dann steht es noch lange da.
Helga Briefchen! 6.1.1942
Die Brikettmännlein
"Vom kleinen Mädchen, das Brikettstücke in die Holzkiste
zauberte!"
Ein Märchen vom Papa
Es war einmal an einem schönen Wintertag bei einem kleinen Mädchen
das man Helgele nannte. Dieses wohnte in einem kleinen Häuschen nahe bei der
großen Stadt, zusammen mit der Mama und einem Brüderlein. An diesem Wintertag,
kurz bevor das Christkindlein zu lieben braven Kindern auf die Erde
herniedersteigt, fuhr ein schwer beladener Wagen mit vielen, vielen Körben
darauf vor das Häuschen, es war der Kohlenmann. Nachdem es auch in diesem
schönsten aller Lande um diese Zeit schon empfindlich kalt wird und Frau Holle
oft und tüchtig vom Himmel herab ihre Bettchen ausschüttelt und die Federchen zu
lauter kleinen Schneeflöckchen gefroren vom Himmelszelt herunterfallen, so
braucht man schon tüchtig viel Kohlen damit es die kleinen und großen
Menschenkinder auf der Erde nicht friert. So war es auch hier bei diesem kleinen
Mädelchen das bei seiner Mama in diesem kleinen Häuschen wohnte. Auch hier hatte
der weisse Herd und das Öfelchen immer kräftigen Appetit und so hatte die liebe
Mutti den Kohlenmann beauftragt wieder einmal etwas gutes zum Essen für den Herd
und den Ofen zu bringen damit sie tüchtig essen können und dann wenn das
Feuerchen in ihrem Bäuchle brennt die Menschenkinder erwärmen können.
Tüchtig
schleppte der Kohlenmann an den vielen Körben, einen nach dem anderen trägt er
zu dem kleinen Häuschen, bis es am Ende 10 volle Körbe Briketts waren, die er
dort ausschüttete. Doch oh weh, oh Schreck, jedesmal wenn er so einen vollen
schweren Korb auf die Erde schüttete und die schwarzen Brikettmännlein auf die
Erde purzelten, da schrieen und heulten diese zerbrechlichen Gesellen, dass es
einen erbarmen konnte. In hohem Bogen, kopfüber und querdurcheinander wirbelten
sie mit krachen und brausen, zischen und fauchen durch die Luft, bis sie teils
heil, teils mit gebrochenem Rückgrat auf dem harten Boden landeten. So ging es
fort mit all den Körben die der Kohlenmann brachte und auf die Erde
schüttete.
Dabei stand die liebe Mama und das kleine Helgele und mit
Schrecken und Entsetzen sahen sie zu, wie das eine und andere Brikettmännlein
auf den harten Boden stürzte und dann oh Jammer mit zerbrochenem Körper auf der
Erde liegen blieb, es war tot, mausetot und konnte nicht mehr in der Veranda,
die an dieses kleine Häuschen gebaut war, seine Wohnung beziehen. Das ist
nämlich so, die großen, ganzen Brikettmännlein bekommen doch eine besonders
schöne Wohnung und dürfen in dieser Veranda schön ausgerichtet und
aufgeschichtet wie die Soldaten bis Herd und Ofen wieder Hunger haben, ausruhen
und sich von den vielen Strapazen solange erholen. Doch die geknickten und
zerbrochenen schwarzen Burschen haben dieses Vorrecht nicht, sie sind einmal tot
und gestorben und haben bei den ganzen und noch kräftigen Brüdern nichts mehr zu
suchen, da sie sonst von den noch lebenden Brikettmännern vollends zerdrückt
würden und noch dazu keine ruhige Liegestatt haben. Nun wie das auch so ist im
Leben, die Kräftigen und Starken siegen, so wars auch bei den Brikettmännlein,
kaum waren sie auf den Boden gepurzelt und über und untereinander auf einem
großen Haufen beieinander, da begann ein schieben und drängen, ein boxen und
zwängen, die lebenden ganzen Burschen wühlten und wühlten und machten sich frei,
jeder wollte der erste sein und eine große Wohnung in der trockenen Veranda
haben. Da sie doch nicht so schnell springen und laufen konnten und immer wieder
hinfielen, kam die liebe Mama mit ihrer Hilfe und nahm sich der armen Gesellen
an. Sie packte sie schwups, eins, zwei, drei, vier und immer mehr und trug sie
in die neue Wohnung an den Platz in die Veranda, wo sie schlafen sollten, denn
das weiß auch das kleine Helgele, da sie so kohlrabenschwarz und schmutzig sind
und sich niemals waschen, kann man sie doch nicht in ein weißes Bettchen legen.
Doch sie sind auch so zufrieden und schön folgsam, wie eben Brikettmännlein
einmal sein müssen, gingen sie mit der lieben Mutti willig in die Veranda und
jedes bekam sein Plätzchen angewiesen und hatte Ruhe, bald schliefen sie ein und
so werden sie weiterschlafen bis der hungrige Herd und der gefräßige Ofen sie
auffressen werden. Wenn sie noch nicht alle aufgegessen sind, schlafen sie heute
noch.
Währenddessen nun die liebe Mama die einen schwarzen Kerle so nach
und nach heranholte und ins Häuschen brachte, da schrieen und weinten die halben
und zerbrochenen Brikettmännlein bitterlich und das kleine Helgele wurde immer
und immer wieder angefleht ihnen doch in ihrer Todesangst zu helfen. Feine
Stimmchen wimmerten im Chor, dass es einem ganz gruselig wurde: "Komm doch
liebes Helga-Kind, bring uns in die Kist geschwind!" uns friert, uns friert! Das
hörte das kleine Helgelein und ihr kleines Herzchen hatte Mitleid mit den armen,
armen Brikettmännlein und sann hin und her wie sie den todkranken
Brikettmännlein helfen könnte. Eins, zwei, drei, Einerlei, lief sie weg und zum
Zweck, brachte sie ein Körbchen ganz geschwind wie der Wind.
So dachte sich
das kleine Helgele, jetzt werde ich mich euer annehmen und jedesmal wenn die
liebe Mutti einen ganz großen Pack von den gesunden Brikettmännlein in die
schöne Verandawohnung führte, füllte sie rasch ihr Körbchen voll lauter kranke
und halbtote Brikettmännchen und hurtig ging's zur Kohlenkiste und mit Ruck und
mit Zuck, wie sie dacht' in ihrem Sinn, war'n sie in der Kiste drin' ! Kam die
Mutti dann zurück und wollte eine neue Ladung Brikettmännlein abholen, dann war
sie erstaunt, dass das Gejammer und Gestöhne der kranken Männlein immer
schwächer und weniger wurde und sie konnte sich nicht erklären wie das kam und
wie sie so blickte bemerkte sie dass das Häufchen der armen schwarzen Gesellen
immer kleiner und weniger wurde, so oft sie zurückkam und gesunde
Brikettmännlein wegführen wollte. Sie sann hin und her und konnte keine
Erklärung finden was da vorging und glaubte schon an die kleinen Heinzelmännchen
und Rumpelstilzchen die hier wohl ihre Hand im Spiele haben könnten. Doch im
Hintergrunde stand das kleine Helga-Mädchen und lachte so für sich ins
Fäustchen, das Henkelkörbchen fein säuberlich hinter der Kohlenkiste versteckt
und wartete nur auf den Augenblick wo die liebe Mama wieder mit einer neuen
Ladung ins Häuschen verschwand. - Eins, zwei, drei, wie Sausewind, kam sie
wieder an geschwind und mit kleiner flinker Hand - den Korb gefüllt bis an den
Rand! An die Kiste ran und rein und sofort hört auf das Schrein! Als die Mutti
kam zurück, war sofort ihr erster Blick, auf das Häuflein das so klein von
todkranken Brikettmännlein. Wieder war ihr Staunen groß - denn sie kam nicht auf
die Chos' ! Wieder stand ins Eck gedrückt, Helga mit geschärftem Blick! Mama
führt zum letzten mal, nur noch eine kleine Zahl, von den Männlein die gesund,
rein in ihre Unterkunft.
Als sie kam zum Rest zurück, die zerbrochnen Stück
für Stück, fand sie auf der Erde blank, ein Häuflein Staub vermischt mit Laub
und sieh zu ihrem großen Schreck, war'n alle kranken Männlein weg!
Neben
diesem Häuflein Dreck, stand russgeschwärzt, mutterseelen ganz allein, Klein-
Helgas Henkelkörbelein! Auf der Kiste lacht und sitzt die Helga - sie hat
tüchtig mitgeschwitzt!
So zum Schluss nun kommen sie, in den Mund von
Herd und Ofen, sie müssen helfen "Braten - Kochen", denn das weiß ein jeder
Geck, heizen ist ihr Lebenszweck!
Und wenn sie noch nicht verbrannt
sind, dann leben sie heute noch!
Der Papa und Verfasser dieses bescheidenen
Märchens wünscht den gesunden und kranken Brikettmännlein ein recht, recht
langes Leben, damit sie euch noch lange Zeit Wärme spenden
können.
-E N D
E-
Gruß und Kussi vom
Papa
6.1.1942
Liebe Kerstin, die Geschichte ist wunderschön geschrieben!
AntwortenLöschenIch wünsche Dir noch einen gemütlichen Abend!
♥ Allerliebste Grüße, Claudia ♥
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
AntwortenLöschenLiebe Kerstin,
AntwortenLöschenist das nett geschrieben. So etwas einzigartiges hast Du oder Deine Mama in Eurem Besitz, wie schön. Die Zeichnungen mit Füller und die Schrift machen das ganze noch wertvoller. Ich mag das Titelblatt auch so.
Ganz liebe Grüße
ANi
Oh Ja! Ich finde auch, dass das ein ganz großer und wunderbarer Schatz ist!
AntwortenLöschenDa steckt so viel Liebe und so viel Fantasie drin, und ich denke mir, liebe Helga, dein Vater war dir und seinem Zuhause innerlich ganz, ganz nahe, als er dir die Geschichte geschrieben hat - so war es auch für ihn eine gewisse Therapie in der schlimmen Zeit!!!
Lasst euch drücken, ihr Lieben
Traude
Hallo Kerstin,
AntwortenLöschendas ist eine einzigartige und wunderbare Erzählung! Im Januar 1942 war es bestimmt sehr kalt, aus einer damals alltäglichen Routinearbeit wie das Brikettstapeln, hat der Papa für sein Helgele ein herzerwärmendes Märchen gezaubert und im Nachhinein für sich selbst eine kostbare Erinnerung geschaffen!
LG Heidi
Was für ein wunder, wunderschöner Beitrag! Vielen , lieben Dank dafür.
AntwortenLöschenNicht nur das Märchen auch das Hintergrundwissen um diese bezaubernde Geschichte ist sehr berührend.
Vielen, lieben Dank dafür!
Ganz lieben Gruß, Michaela
Ich habe die Geschichte auch sehr gerne gelesen. So voller Fantasie - und schön geschrieben.
AntwortenLöschenDazu wieder die schönen Bilder.
Toll !!!
lieber Gruß von Heidi-Trollspecht
Mir hat Deine Geschichte auch sehr gut gefallen!!!!!
AntwortenLöschenIch erinnere mich noch an unseren dunklen Keller und ich ging immer pfeifend rein, wenn ich Kohlen holen mußte!
LG Gisela
Ein bezauberndes Märchen. Nachhaltig wird es in mir wirken.
AntwortenLöschenLiebe Grüße von Karin Lissi