ja, dann ist Maienzeit. Frühlingsgefühle stellen sich ein,
wohl auch bei Franz Doelle dem dieses Lied zu komponieren in den Sinn kam.
Komischerweise reagiere ich auch darauf, weshalb unser
Fliederbaum im elterlichen Garten an der Eingangstüre sich wieder in meiner
Seele zu Wort meldet.
Er kannte mich, hörte meine Schritte schon wie ich das
kleine Fußwegelein zur Gartentüre kam und ich glaube auch dass er sich gefreut
hat als ich ihn begrüßte.
Er kennt mich und ich ihn stand er doch schon seit dem Jahr
1932 dort, da war ich noch gar nicht geboren. Richtig wahrgenommen hat er mich
als des Helgele, das in den Jahren 1941/42 ihm jeden Tag einen guten Morgen
wünschte, weil ich nämlich zur hölzernen Gartentüre gelaufen kam um im
Briefkasten nach Post fürs Helgele zu schauen.
Mama stets an meiner Seite mit
dem kleinen Schlüsselchen in der Hand, um damit aufzuschließen. Ich war noch
nicht groß genug um an das Schloss zu gelangen. Ungeduldig zappelte ich von
einem Bein auf das andere in freudiger Erwartung auf ein Papabrieflein aus dem
Krieg. Manchmal war die Enttäuschung groß wenn nichts dabei war, ein anderes Mal
dafür die Freude groß, wenn es zwei oder gar drei Briefchen waren.
Mama hatte
mir einen Leitzordner angelegt, mir gezeigt wie der Locher funktioniert und ich
fand mich schon ganz groß, als Bürohilfe. Wenn mich dann eine Nachbarin fragte
ob ich Post erhalten habe, meinte ich dazu: „Weißt denn du net, mei Papa is
doch im Krieg, aber der kummt scho widder.“
Dies und noch viel mehr weiß alles der Fliederbaum der in
den 10 Jahren mächtig gewachsen ist. Doch irgendwann fing auch ein Fliederbaum
an zu begreifen, dass da etwas nicht stimmen konnte. An einem windigen Sommertag
war ich mal wieder sehr traurig, kein Bruder da, keine Spielkameraden und mein
kleines übervolles Kinderherz wollte unbedingt jemandem sein Leid erzählen.
Der Krieg war zu Ende, ich wurde 1945 eingeschult. Ohne eine
Schultüte zu besitzen ging ich am Fliederbaum vorbei und hinterließ ihm meine
Weiße Tafthaarschleife. Ich hatte mir diese so sehr gewünscht für meine dicken
Zöpfe, aber Mama sagte mir, das geht nicht mit Dir, sie sind a teuer und b
irgendwie auch nicht aufzutreiben, Helgele du bist zu wild für so schönen
Haarschmuck, schau nur an dir herunter, das Schuhband offen, das Knie
aufgeschlagen, die Strümpfe nicht hochgezogen, einen Klecks vom Mittagessen
noch auf dem Kleidchen. Ein Schulkind ohne Papa, keine Schultüte und auch keine
Haarschleife, nein das geht nun für eine Mutter rein gar nicht. Nürnberg erholte
sich langsam von den Kriegswirren und man sah wieder etwas mehr Licht am
Horizont, die Menschen wurden wieder zuversichtlicher und Jeder half auch noch
Jedem, so wie er eben konnte. Viele Männer waren vom Krieg nicht mehr
zurückgekehrt oder noch in Gefangenschaft, keiner wusste etwas Brauchbares zu
berichten.
Auch der Fliederbaum wusste keinen Rat und viel um ihn herum
passierte auch nicht, bis eines Tages ein Mann auftauchte der im Nachbarhaus ein Zimmer gemietet hatte. Was dann so unterm Fliederbaum geratscht und getrascht wurde
hatte das Helgele schon mitbekommen und dem Fliederbaum einiges entlocken
können, was der denn wusste. Ja, was wusste er, dass es ein überaus netter und gutaussehender Mann im besten Alter war, das war für das Helgele aber nicht so wichtig, sondern er sprach sie immer an, wenn er abends vom Arbeiten kam, steckte ihr eine Leckerei zu und machte Spaß mit ihr. Turnen war seine große Leidenschaft, irgendwie oder wo war
er wohl mal in einer Turnerriege.
Auch stand er öfter an der Gartentüre unterm
Fliederbaum......immer öfter, er brachte Mama Schinken und andere Esswaren mit.
Er war Flüchtling vom Krieg hierher gekommen, fand Arbeit und ganz nebenbei
auch noch eine begehrenswerte Witwe mit zwei Kindern. Ich war hin und weg,
endlich hatte auch ich einen Papa, die solange neidisch auf andere Kinder war, deren Papa wieder
zurückgekommen war. Er war Stettiner aus Pommern, konnte nicht mehr zurückkehren
in seine Heimatstadt, die den Russen zugeteilt war. Die russisch besetzten
Gebiete waren für die Bevölkerung dort ähnlich wie Krieg. Er hatte nichts mehr
gehabt außer was er am Körper trug und die Soldatenerkennungsmarke. Er war
ledig und kinderlos, das gefiel dem Fliederbaum sehr, endlich kam nach den
Kriegswirren wieder Freude in die Bevölkerung. Es war Sommer 1948, Ludwig Erhard leitete nun die Geschicke
Deutschlands.
Ich musste versprechen, dass ich nichts verrate, dass bald eine
Vermählung stattfinden würde. Da mein neuer Papa aber keine Geburtsurkunde und
oder sonstigen Vorkriegspapiere mehr besaß, wollte der Herr Pfarrer die Trauung
nicht vollziehen. Da war ich höchst enttäuscht, denn auch die ev. Erlöserkirche
in Nürnberg war gut besucht, meist Nachbarn die einer Hochzeit gerne beiwohnten
und Glückwünsche zu vergeben hatten. Die Gemeinde musste lange warten, Gemurmel im Kirchsaal.
Schließlich gelang doch das Wunder, dass das Ja Wort gesprochen werden konnte. Mama war so verärgert, dass sie aus der
Kirche austrat. Später aber wieder eintrat nach dem sich die Pfarrei
entschuldigt hatte.
Ach mein Fliederbaum, mein stummer Freund der trotzdem alles
wusste, er ist schon seit 1964 nicht mehr unter uns. Ich war sehr traurig als er
einfach so leblos da am Boden lag. Dort wurde er wie auch der Herr Pfarrer
immer sagt, Erde zu Erde. Seine Erde ist da noch und im Mai wenn die Natur
neues Leben entstehen lässt, muss ich die Fliederbäume besuchen die in meiner
Umgebung stehen, ihren Duft einatmen und traurig an Mama und Papa denken. Er
musste weichen, der Aufschwung forderte sein Leben, man wollte vorwärts kommen,
die verloren gegangene Kriegszeit wieder aufholen, renovieren und neues
anschaffen, ein neues Gartentor errichten und eine Garage bauen. Viele Menschen verloren ihr Leben, da zählt ein Fliederbaum
mehr oder weniger nicht. Niemals dürfen diese Jahre in Vergessenheit geraten.
Euere Helga
* dieser Beitrag kann indirekt Werbung ohne Auftrag enthalten (Markennennung, Ortsnennung oder Verlinkung)