Samstag, 1. Februar 2025

Kleines Winterepisödchen gefällig ?

Auch wenn ich im Augenblick nicht wirklich mit dem Winter aufwarten kann, denn das Schaukelwetter vom Sommer hat sich bis heute tapfer gehalten kann ich von einem bitterkalten mit viel Schnee und Eis aus dem Winterhalbjahr 1947/48 berichten. Fotos davon gibt es allerdings keine, denn Filme und auch Fotoapparate waren Mangelware und so gut wie nicht zu bekommen. Helga allein zu Hause, in die 4.Klasse gehend, und die erst kurz zurückliegenden Kriegsjahre überall allgegenwärtig. Die Stadt und ihre Bewohner waren immer noch mit Aufräum- und Wiederaufbauarbeiten beschäftigt. Männer waren rar oder nicht arbeitsfähig, da krank oder verletzt aus dem Krieg zurückgekehrt. Also mussten die Frauen und größeren Kinder die Arbeiten übernehmen. So auch Mama, die mich und meinen Bruder durch die Jahre 1939 bis 1945 bringen musste. 


Der Mann und Vater wurde uns 1942 bereits genommen. Mama verdiente für uns unser tägliches Brot und mein Bruder ging wieder zur Schule ins Albrecht-Dürer-Gymnasium, er war 1947 bereits 15 Jahre alt und wollte unbedingt Zahnarzt werden. Warum er das unbedingt wollte hat sich Mama nie erschlossen, denn mit Blut stand er auf Kriegsfuß, da rannte er los wenn er die Jodflasche nur ahnte. Im Kriegstumult gab es kaum Lehrer, ein Unterricht fand kaum statt, es gab keine Schulbücher und der "Oberste" spannte das Jungvolk vor seinen Karren für Schnee räumen, Unkraut zupfen und für sportliche Propaganda, kein Wunder, dass daraus nix Gescheides werden würde.


Unterdessen wenn ich von der Schule kam, war ich im kalten einsamen Haus auf mich gestellt. Niemand war da, keine Spielkolleginnen in den kleinen Einfamilienhäusern, nur einzelne Knaben, 4 bis 6 Jahre älter als ich. Eine Nachbarin wohnte mit einer Tochter in Untermiete in einem Zimmer mit 3 Personen. Sie ging mit mir zur Schule, den langen Weg von 40 Minuten mit unseren kleinen Füßen und ungenügenden Schuhwerk für die Wintermonate. Im Sommer hatten wir unsere Holzklapperer oder eben barfuß. Da war man dann äußerst froh wenn man zu zweit gehen konnte. Auf der Strecke gesellte sich dann noch die eine oder andere Schülerin hinzu. Meine Schulfreundin hatte noch Großeltern in St. Johannis, während Mama, Bruder und ich auf uns alleine gestellt waren. Es geschah oft, dass meine Freundin nach der Schule nicht mit mir den Heimweg antrat, sondern zur Oma abzweigte und dieser Weg ging entgegengesetzt über die Pegnitz. Dabei entging mir oftmals auch ein Mittagessen, denn die Mama meiner Schulfreundin hatte eben für ihr Kind etwas gekocht und wenn wir von der Schule kamen fragte sie mich oft, Helga willst Du eine Kartoffelsuppe mitessen (das war für mich die ewig hungrige und durstige Helga wie Ostern und Weihnachten zusammen. Bis heute ist das so geblieben, nur mit der Kartoffelsuppe verwöhnt mich jetzt Kerstin. Ich könnte sie immer noch jeden Tag essen.)  
So geschehen, die Schule war aus, die Kinder liefen in alle Himmelsrichtungen auseinander und meine Schulfreundin und Nachbarin ging mit den anderen Kindern zur Pegnitz zum Lederersteg (Heidi vom Blog Trollspecht wird schmunzeln wenn sie das liest, denn sie wohnt dort und schaut von ihrem Balkon auf den "Lederer") Allerdings stimmen die Jahreszahlen nicht zueinander sowie mein Bruder auch dort mit Blick aufs Dürer Gymnasium nicht mehr vorzufinden ist. 
Wie habt Ihr übrigens zu euerem Radiergummi gesagt ? Überall hörte ich so schöne, liebevolle Namen dazu. Bei mir hieß der Ratzger, oder Radifummel. Schulutensilien waren Mangelware und in meinem Federmäppchen oft gähnende Leere. An einem winterlichen Tag mit Neuschnee ging der größte Teil der Schulkinder zum Pegnitzufer, die Büchertasche abgehuckelt, sich draufgesetzt und ab ging die Post. Die etwas rustikale, unerschrockene Helga mittendrin, in einem Ortsteil ostwärts, schließlich ging mein Heimweg westwärts.



Oh Tannengrün oh Tannenbaum
Ich hab die Tasche abgehangen
Jetzt kann ich dolle abwärtsrutschen
Mit meinem Poppes den Schnee besuchen,
Oh Tannengrün, oh Tannenbaum
Ich hab die Tasche abgehangen.
 💼💼💼
Daheim erwartete mich niemand, also keine Veranlassung schnellstens nach Hause zu eilen. Mama musste etwas Zubrot verdienen, denn der Aufschwung war da, Quelle bot Teilzahlungsraten an
und einen Kühlschrank wollte jede Hausfrau besitzen. 


Ich konnte mich an diesem winterlichen Tag kaum von meinen Schulkameradinnen trennen. Erst als mich die Kälte schüttelte ging ich einsam heimwärts. Gewusst hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass der Füllfederhalter auch mit das Weite gesucht hatte, Jetzt kommt der Radiergummi wieder mit ins Spiel denn er war ein wichtiges Teil für fehlerhaftes kopfloses unkonzentriert sein, auch er war auf dem Hang der Pegnitz zu Tode gekommen. Ein zertrümmertes Lineal  war noch vorhanden. Am Abend dann als Mama nach den Hausaufgaben sah, fand sie in meiner Büchertasche Wasser und Schneereste, ein Federmäppchen gab es überhaupt nicht mehr. Der Füller war eine Kostbarkeit, nicht jedes Kind besaß schon einen. Stolz war wer in seinem Pulttischchen Tinte in einem kleinen Gläschen hatte und beim Drehen zusehen konnte wie sich die Tinte hineinzog.


Ein Haken war aus der Ledertasche gerissen und musste zum Sattler gebracht werden. Ein alter kinderloser, unfreundlicher Griesgram der mich dann drei Tage mit einer Ersatzeinkaufstasche von Mama den weiten Schulweg machen ließ ehe er mit seiner riesigen Nähmaschine meine lederne Tasche reparierte. 
Gestraft und nochmals gestraft, weil Mama nicht wusste wie sie mein Federmäppchen und mit welchem Zusatzgeld das sie nicht hatte, wieder bestücken könnte. Die Strafe erledigte sich in meiner Kinderseele von selbst, ich war traurig, eigentlich bis heute wo ich schon so alt bin, dass ich Mama und Bruder Gustav der kein Zahnarzt werden durfte, das Herz zentnerschwer gemacht hatte. 
Nun heute, wenn ich es nur könnte und alles ungeschehen machen könnte, würde ich manches anders machen und Mama herzen, küssen und an mich drücken dass uns beiden die Luft wegbliebe. Schön das Ihr mir zugehört habt, dadurch kommt nichts in Vergessenheit, erinnern ist so schön kann aber auch sehr schmerzhaft sein.


Herzliche Grüße
Euere Helga
 
Verlinkt mit : *Samstagsplausch*, 
 

3 Kommentare:

  1. Liebe Helga, deine Vergangenheit geht mir sehr zu Herzen. Kinder und Frauen mussten damals viel leisten, es war wirklich eine
    schwere Zeit. Kriege sind sinnlos, zerbrechen die Herzen und Bürden viel Leid auf und dennoch gibt es immer und immer wieder
    zu viele davon. Du hast dennoch auch schöne Momente erleben können, den Zusammenhalt in Liebe!!!
    Ich umarme dich und sende dir liebe Grüße, Karin Lissi

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  2. Liebe Helga, Du warst damals ein Kind, das leider nicht unbeschwert aufwachsen durfte. Ähnliches kenne ich aus den Schilderungen meiner Mutter (Geburtsjahr 1935). Wie schön, dass wir ein kleines Stück aus Deinem Leben erfahren durften. Es sind heute andere Zeiten und es geht uns und unseren Kindern und Enkelkindern gut, das sollte niemand vergessen.
    Liebe Grüße von Ingrid, der Pfälzerin

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  3. Moin Helga,
    Danke für Deine Erzählungen aus der Schüler und Kinderzeit, immer wieder schön zu lesen. Das Foto mit den langen Zöpfen erinnert mich an das Kind auf der "Rotbäckchen" Flasche, das bekam ich als "Medizin" weil ich ein Suppenkasper war. Ich war sehr skeptisch was es mit dieser "Medizin" auf sich hatte und weigerte mich das zu trinken, meine Schwester erbarmte sich und leerte das Glas für mich. Erst später merkte ich das der Saft eigentlich ganz gut schmeckte. ;-)
    An einen Radiergummi ja da gab es verschiedene Modelle, aber den durfte man nicht benutzen, mein erster Füller war auch ein Kolbenfüller mit Tinte . Später gab es dann die Patronen mit Königsblauer Tinte von Geha oder Pelikan. Und Tintenkiller war auch eine gute Erfindung.
    Ich bin Jahrgang 56 hatte aber neun ältere Geschwister, wie meine Mutter das alles geschafft hat, ist mir bis heute ein Rätsel.
    Schneewinter fand ich als Kind zwar sehr schön, aber es war echt bitter kalt, wenn der Schnee durch die Schuhsohlen drang und die Füße immer eisiger wurden, und morgens war es immer noch stockdunkel wenn man zur Schule ging.
    Vielen Dank für das Teilen von deinen kleinen Winterepisödchen.
    Liebe Grüße von Conny

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